Nichts tun hilft nichts – Passivität und Populismus

Vom Umgang mit der Abwertung

Politisch geht es in den Veränderungsprozessen unserer Zeit um die Wertebasis unserer Gesellschaft, um Fragen von Menschenwürde, Demokratie, um gute Streitkultur, um Integration und Grenzen.
Populismus  ist eine ideologische Versimpelung der Wertefragen unserer Welt. Unpolitische Menschen, neigen dazu, andere für sich denken und handeln zu lassen und  werden deshalb leicht zu Mitläufern populistischer Parteien. Außerdem gibt es diejenigen, die die politische Teilhabe als unwirksam empfunden haben und damit auch sich selbst als wirkungslos in ihrem demokratischen Handeln. Solche Menschen sind frustriert und neigen dazu, voreilige Schlüsse zu ziehen und dem Angebot einfacher Lösungen zu glauben. Denn die Denkanstrengungen der Menschen, die notwendig sind, um die politische Komplexität und Wirklichkeit zu erfassen, anzunehmen und möglicherweise zu verändern, sind ein mühevoller Weg.

Was macht es den Populisten in Deutschland möglich, so viele Menschen hinter sich zu versammeln?  
In den meisten Fällen ist ein individuell schwieriges Umfeld nicht der ausschlaggebende Faktor, dass sich ein solches Denken in der Gesellschaft etablieren kann. Eher fühlen sich  Menschen durch die Volksparteien nicht mehr eingeladen und abgeholt in ihren Lebensbezügen und Lebenswirklichkeiten. Viele der heutigen Wähler von populistischen Parteien haben vor einigen Jahren ihre Stimme noch einer der etablierten  Volksparteien geschenkt, von denen sie sich heute nicht mehr vertreten sehen.

Passivität

Wie unterstützt das Verhalten der Bürger populistische Tendenzen?
Passivität ist also eine Verweigerung, sich mit komplexen Sachverhalten auseinanderzusetzen und sich aktiv an der Gestaltung unserer Gesellschaft zu beteiligen. Aus diesem passiven Verhalten können große unerwartete politische Verschiebungen entstehen- wie  aktuellen politisch deutlich wahrnehmbar.
Man kann diese Entwicklung im Verhalten von Bürgern  anhand der Passivitätsstufen aufzeigen:

Das Nichts-Tun – die erste Stufe der Passivität
Die meisten von uns kennen Menschen, die sich auf diese Weise verhalten. Menschen, die nichts tun, warten auf eine Besserung ihrer Lebensumstände. Sie nehmen eine Haltung ein, die sich aus der Überzeugung der eigenen Unwirksamkeit nährt und glauben gerne, dass gesellschaftliche Phänomene eher Übergangsphänomene als politische Realität sind und betreiben damit eine „Vogel-Strauß-Politik“.

Die Überanpassung – wenn Warten nicht mehr reicht
Wenn Menschen aus der ersten Stufe der Passivität in die zweite Stufe wechseln, äußert sich das, wie folgt: Nachdem Menschen eingesehen haben, dass sich die politischen Probleme nicht nach kurzer Zeit von selbst lösen und sie aufgrund ihrer Passivität ungewollt Unterstützer der Populisten und des Populismus selbst geworden sind,  beginnen sie, sich an die neuen Umstände anzupassen. Sie empfinden ihr Nichtstun aus der ersten Stufe nicht als inneren Weckruf und engagieren sich nun nicht entschieden für eine etablierte Partei oder eine entsprechende Bürgerbewegung. Sie passen sich in politischen komplexen Fragestellungen in Diskussionen an. Dabei ist es ihnen eher ein Bedürfnis ihrem Gesprächspartner zu gefallen und dessen Argumentation zu stützen als sich politisch zu positionieren.

Hinter diesem Verhalten steckt die Intention, eine Gegenleistung für die Anpassung zu erhalten. Die Betroffenen wollen aufgrund ihrer Anpassungen bei der Lösung des Problems so stark unterstützt werden, dass sie keine Energie für die Lösung des Problems selbst aufbringen müssen. Dieses Verhalten äußert sich beispielsweise darin, dass Bürger, die in dieser Weise passiv sind, beteuern, zur Wahl zu gehen. Tatsächlich sind sie dort aber nie gewesen und haben ihre Stimme nicht abgegeben. Es kann sogar vorkommen, dass diese Bürger im Rahmen von gesellschaftlichem Engagement politisch aktiv sind, aber im Widerspruch zu allen Bemühungen dann nicht persönlich zur Wahl gehen.

Die Agitation – wenn sich Menschen selbst behindern
Jede Person besitzt eine bestimmte Menge an Energie, die sie für die Lösung eines Problems aufbringen kann. Während diese in der ersten Stufe der Passivität zurückgehalten und in der zweiten Stufe zur Überanpassung genutzt wird, führt die dritte Stufe der Passivität dazu, dass diese Energie zum eigenen Schaden eingesetzt wird. Mit dieser Stufe der Passivität beginnt die betroffene Person, sich selbst aktiv zu schaden, um bei der Lösung des Problems passiv bleiben zu können.
Hiermit sind Verhaltensweisen gemeint, die einer politischen Positionierung direkt im Weg stehen. Häufig geschieht dies durch eine passive Form der  Reizüberflutung.  Die Parolen und Glaubenssätze der Populisten werden angehört. Es findet aber keine Auseinandersetzung im Denken dazu statt – so dass es zu keiner  persönlichen Positionierung mehr führt. Damit meine ich eine besonders ineffiziente Denkweise, die  zu dem Ergebnis der einfachen Antworten führt. Bürger, die für populistische Glaubenssätze demonstrieren agitieren mit Blick auf die Komplexität der politischen Fragestellungen. Diese Form der Selbstbehinderung wird vor allem bei der vorausgehenden persönlichen Entscheidung, welches die bevorzugte Partei sein soll, angewendet. Obwohl jede politische Organisation viel Zeit und Mühe dafür aufwendet, zu veranschaulichen, welche Werte ihr besonders wichtig ist, können sich passive Menschen nur schwer engagiert und positiv auf eine bestimmte Partei festlegen. Menschen erleben dabei eine Verunsicherung, weil sie mehrere gesellschaftliche Probleme erkennen und keine einfache Lösung dafür finden. Die politische Komplexität verunsichert so stark, dass Vereinfachung, Reduktion von  Komplexität, pragmatische Vorgehensweisen attraktiv erscheinen. Meine Schlussfolgerung liegt nah an einer gesellschaftlichen Realität, dass individualistische Menschen in den unterschiedlichen Lebensbereichen Komplexität –auch gesellschaftliche Komplexität –reduzieren und eine Haltung einnehmen, die sich nicht wirklich einlässt. Im Sinne von: „Wir wollen es nicht so kompliziert haben“

Der letzte Ausweg – Gewalt
Wenn man an Passivität denkt, so ist die Anwendung von Gewalt eines der letzten Dinge, die man mit diesem Begriff verbindet. Tatsächlich kann aus stark übersteigertem passivem Verhalten Gewalt resultieren. Starr passive Bürger erleben, dass ihre Passivität keinerlei Auswirkungen auf die Gesellschaft hat und keine Lösungen für bestehende Probleme herbeiführt. Da die Umgebung weder durch eine Überanpassung noch durch die Vermittlung der Handlungsunfähigkeit des Betroffenen handelt, fühlen sie sich innerlich dazu verpflichtet, zu handeln.

Die angewendete Gewalt  ( psychisch oder physisch )kann sich sowohl gegen die Umgebung (beispielsweise Homophobie, Ausgrenzung von Minderheiten) als auch gegen sich selbst richten. Aus der Passivität folgt daher in einigen Fällen eine Aktivität für populistische Parteien, da diese beispielsweise versprechen, das eigene Selbstbild aufzuwerten durch die Abwertung oder Ausgrenzung „anderer“. Es entsteht eine veränderte Wahrnehmung der Gesellschaft, die unter ungünstigen Umständen zur Radikalisierung führen kann.